Was passiert liegt in deiner Hand

Ich kam gerade auf den Sportplatz. Wir sollten heute mit einer anderen Klasse sportlich aktiv werden, wie mein Lghrer das formulierte. In Wahrheit war es so, dass unsere Lehrerin nicht da war und wir Mädels deshalb zu dieser anderen Klasse mussten. Es war eigentlich kein schlechter Tag für Sport, denn die Sonne schien und es war angenehm warm, im Gras funkelte ncoh der Tau und es roch nach regennessem Wald und Freiheit. Was für ein verheißungsvoller Geruch. Ich atmete tief ein und lächelte. Ich trug eine schwarze Sporthose, ein schwarzes Top und Turnschuhe, die goldblonden Haare hatte ich zurückgebunden. Nur ein paar kürzere Strähnen wurden mir vom leichten Wind ins Gesicht geweht. Wir gingen auf die Jungs zu. Ein paar von ihnen waren wirklich niedlich.

Die Jungs aus meiner Klasse und ich standen in einer kleinen Gruppe auf dem Sportplatz. Alle natürlich schon in Sportkleidung. Ich hatte kurze Hosen und ein Shirt an. Das war normalerweise ziemlich kalt für diese Jahreszeit, aber heute war es angenehm draußen und nachher würde ich schon wieder warm werden. Wir warteten noch auf unseren Lehrer, der hin und wieder gerne mal zu spät zum Unterricht kam. Uns war das natürlich egal, ob wir Unterricht hatten oder nicht. Trotzdem wärmten wir uns schon etwas auf, denn unser Lehrer hasste es, wenn er in eine unvorbereitete Klasse kam. Ich streckte mich also etwas, hüpfte auf und ab, machte ein wenig Lauf-ABC, naja, das ganze Zeug halt.
Hin und wieder warf ich meinen Blick Richtung Schule, ob unser Lehrer irgendwann auftauchte, er tat es nicht, aber eine Gruppe Mädchen kam auf uns zu. Ich wunderte mich darüber, normalerweise hatten wir getrennt Sportunterricht und die Mädchen hatten auch keine Lehrerin dabei. Ich fragte die anderen Jungs, ob sie was wussten, aber die hatten ungefähr soviel mitbekommen wie ich.
Die Mädchen kamen derweil näher und auch mein Lehrer kam endlich vom Schulgebäude aus angesprintet. Er traf etwa zur gleichen Zeit ein, wie die Mädchen und erzählte uns irgendwas von mit ihnen zusammen Unterricht machen. Mir war es recht, es waren ganz Hübsche dabei und ihnen beim Sport zuzusehen, war sicher nicht schlecht.
Mein Lehrer teilte zur weiteren Erwärmung Gruppen ein. Er teilte unsere Gruppe in Jungs und Mädchen. Bei beiden war immer einer übrig und die mussten zusammen machen. Das war ich - wer hätte es gedacht? - und ein blondes Mädchen, die aus meiner Parallelklasse kam. Ich lächelte sie an, als ich mich neben sie stellte und wartete, dass unser Lehrer weitere Anweisungen gab.

Innerlich wehrte ich mich gegen die Gefühle, die in mir aufkeimten. An niemanden bestimmten gerichtet, viel ehr an alle. Als ich dann mit einem dunkelhaarigen Jungen aus der anderen Klasse zusammen in eine Gruppe kam, musterte ich ihn zum ersten Mal genauer. Er stellte sich neben mich und lächelte mich an. Zögerlich lächelte ich zurück, die Sonne blitzte auf meinen Zähnen und brachte meine Haare zum Glänzen. Er war wirklich süß. Der Lehrer trug uns auf, uns in unseren Gruppen eigenständig aufzuwärmen und einzulaufen. Was wir heute machten, sagte er nciht. Ich strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn, die der Wind mir dorthin geweht hatte, und lief mit dem Jungen los. In den anderen Gruppen wurde geredet und gelacht, und so sagte ich auch etwas. "Ich bin übrigens Marina" stellte ich mich vor.

Ich nickte, als der Lehrer die Anweisung gab, dass wir uns einlaufen sollte und so Erwärmung eben. Dann würden wir sicher heute Sprinten. Das wollte er eh schon seit Wochen machen, aber etwas zerstreut war er immer.
Alle begannen nun loszulaufen und unterhielten sich miteinander. War ja klar, denn es hatten sich immer Freunde zusammengefunden. Ich hatte aber wieder das Glück, mit einer relativ Fremden zusammen zuarbeiten und ich hasste es. Ich war viel zu schüchtern, um in irgendeiner Weise etwas Smalltalk zu führen. Aber während wir rannten, hoffte ich, dass es ihr zu anstrengend für Smalltalk war. Sie begann jedoch schon nach einigen Metern sich vorzustellen. Nicht, dass es generell ein Problem wäre, mit ihr zu reden, aber ich hatte immer keine Ahnung, was ich den Leuten erzählen sollte. Mein Leben war so dezent langweilig. Gut, meinen Namen konnte ich schon noch sagen. "Ja, ich bin Nicolas. Nenn' mich Nico.", sagte ich zwischen zwei Atemzügen und lächelte nochmal, wand meinen Blick aber sofort wieder ab. Jetzt ging mir der Gesprächsstoff aus - super. "Tja, also ich denke wir werden nachher Sprinten, das wollte er schon lange mit uns machen. Das müsst ihr wohl dann ertragen.", versuchte ich einen Gesprächsanlauf, der eher kläglich war.

Oh mein Gott wie niedlich, er sit schüchtern! brüllte eine Stimme in mir. Eine ander hielt dagegen, dass er wohl so wenig sagte weil er mcih einfach nicht kannte. Behg Stimmen stritten noch weiterm bis seine Stimme sie unterbrach. "Sprinten ist ja nicht so schlimm. Ich mags lieber als Dauerlauf oder so was..." murmelte ich und lief weiter. Er wandte mir kurz den Blick zu, sah dann aber wieder weg. Irgendwie hatte die erste Stimme ja recht, das war wirklich süß. Nachdem wir uns alle eingelaufen hatten, erklärte der Lehrer, dass wir sprinten würden. Von den Mädels und auch von einigen Jungs kam enttäuschtes Murmeln, andere freuten sich lautstark darüber. Es liefen immer vier Leute gleichzeitig, sprich zwei Paare. Als ich und Nico dran kamen, stellten sich auch zwei andere Mädchen an den Start, Tia und Hilde. Beide vollschlank und schon sichtlich überanstrengt. Sie brachten ihr Fettmassen in die Startposition. Sie sahen vielleicht nicht danach aus, sie waren aber ganz schön zickig.

Nachdem sie meinte, dass Sprinten gar nicht so schlimm war, sie aber eher Dauerlauf mochte, nickte ich nur. "Ja, bin aber auch eher der Sprinter.", sagte ich kurz angebunden. Was hätte ich auch sonst noch sagen sollen? Ihr meine Lebensgeschichte erzählen? Ne.
Das war aber auch nicht das peinlichste, in dieser einen Runde, um den Sportplatz. Nach diesen zwei Sätzen herrschte nämliche Stille. Außer unseren Atem und das Gekicher und Gerede der Anderen, hörte man gar nichts. Ich hätte nicht erwartet, dass eine Runde Sportplatz so lange dauern konnte und so peinlich sein konnte. Die meiste Zeit konzentrierte ich mich einfach darauf, dass es gleich vorbei sein würde.
Das war es auch und unser Lehrer informiert uns über den Sinn der Stunde - oder eher das Thema, denn einen Sinn hatte es nicht unbedingt. Marina und ich liefen als einer der letzten Gruppen mit zwei anderen Mädchen- bis dahin fiel kein einziges Wort, am Liebsten wäre ich im Erdboden versunken. Es gab ein kleines Missverständnis, wer auf welcher Bahn lief und ich dacht peinlicher konnte es nicht werden - so hatte ich mir die Stunde auf keinen Fall vorgestellt.
Als das geklärt war, konnten wir dann aber endlich starten. Sprint lag mir ganz gut. Die beiden anderen Mädchen stellten keinerlei Konkurrenz dar, denn sie fielen schon nach den ersten Metern fast um vor Anstrengung. Marina war dann schon schwieriger, sie schien nicht ganz unsportlich und wir rannten fast gleichschnell.
(such du aus, wer besser ist. xD)

Wie zu erwarten hängten wir meine Klassenkameradinnen schnell ab. Nico war schnell und so liefen wir fast die ganze Zeit Kopf an Kopf, bis ich strauchelte. Durch die Geschwindigkeitwäre ich fast hingefallen, konnte es aber gerade noch verhindern und setzte wieder hinter Nico her. Er hatte etwa zwei Meter Vorsprung, aber ich holte auch noch etwas auf. Doch da es nicht mehr weit zu laufen war, gewann er mit einem kleinen Vorsprung. Ich lief mein Tempo noch aus und atmete dreimal tief durch, bevor ich mich meinem Knöchel widmete, der höllisch brannte. Wie ein Blitz fuhr der Schmerz jetzt,mda ich stand, durch mein bein und ich verzog das Gesicht. Sowas konnte ja auch nur mir passieren... Ich massierte die schmerzende Stelle und konzentrierte mich auf den Schmerz, um zu wissen, wo er hauptsächlich war.

Fast bis zur Ziellinie rannten wir weiter Kopf an Kopf. Plötzlich entschwand Marina meinem Blickfeld und ich wandte mich verwundert um, entweder sie wollte mich gewinnen lassen oder ich hatte nochmal ganz schön an Geschwindigkeit zugelegt. Keines von beidem war der Fall, denn ich sah, dass sie wohl ins Straucheln geraten war und nun nicht mehr richtig laufen konnte. Die letzten Meter sprintete ich trotzdem nochmal und nahm keine Rücksicht. Schließlich bekam ich eine Note darauf.
Hinter der Ziellinie johlten meine Freunde, weil ich gewonnen hatte - so toll war das nun auch nicht.
Ich aber hielt sofort an und drehte mich zu Marina, die trotzdem nur wenige Sekunden nach mir im Ziel ankam. Die anderen Mädchen hatte ich schon längst wieder vergessen. Die konnten wahrscheinlich froh sein, wenn sie überhaupt im Ziel ankamen.
"Alles klar bei dir?", fragte ich und beobachtete tatenlos, wie sie sich hinhockte und ihren Knöchel festhielt. Es war also doch mehr passiert, als ich erwartet hätte. Respekt, dass sie doch noch weiter gelaufen war.
Mein Lehrer kam natürlich wie ein aufgescheuchtes Huhn angesprintet und befühlte den Knöchel. Eine kleine Traube hatte sich schon um uns gebildet, weil alle wieder gaffen wollten. Einige Jungs schlugen mir auf die Schulter und lachte, während sie irgendwas von 'Gut gemacht, Nic!' und 'Du hast echt eine umwerfende Ausstrahlung.' laberten. Was hätte ich auch anderes erwartet sollen.
Mein Lehrer hingegen ignorierte die Einwände und schickte Marina ins Sekretariat. Ich sollte sie begleiten. Jahuu, weitere peinliche Minuten von Stille. Der Weg zum Sekretariat war schließlich nicht sonderlich kurz.
Aber es war eine Anweisung und ich musste machen, was man mir sagte. Ich half Marina auf und legte ihren Arm um meinen Nacken. Ich bezweifelte, dass sie gut laufen konnte, denn der Knöcheln schien schon dick zu werden. Hoffentlich war nichts gebrochen. "Geht's?", fragte ich sie und legte meinen Arm um ihre Hüfte, um sie besser zu stützen, während wir auf das Schulgebäude zuliefen.

Am liebsten hätte ich gesagt, dass die anderen gar nicht so zu gaffen brauchten, aber ich beherrschte mich. Der Schmerz nahm wieder zu, als der Lehrer an meinem Knöchel fühlte, und ich unterdrückte gerade noch den Drang, scharf die Luft einzusaugen. Mir war die Situation so schon peinlich genug, da brauchte ich nciht auch noch Schaulustige, wollte ich sagen, hielt aber doch wieder den Mund. Als man mich mit Nico ins Sekretariat schickte, wurde ich leicht rot. Wie schon beim Laufen. Er zog mich hcoh und stützte mich mit einem Arm um die Hüfte und meinem Arm um seinen Nacken. Ganz angenehm war das ganze nciht für mich, da er doch ein Stück größer war als ich und mein Fuß immer noch schmerzte. Täscute ich mich oder war er wirklich angeschowllen? Na toll... Wenn das was enstes war, konnte ihc weder tanzen noch kämpfen. Na, da hatte ich ja wieder was hinbekommen... Mit Nico's Hilfe humpelte ich vom Platz und wir gingen nebeneinander her, wobei ich versuchte, den verletzten Fuß so normal wie möglich zu nutzen. Nicht ein Laut des Schmerzes kam über meine Lippen, obwohl es sich anfühlte, als würde man mir ein glühendes Eisen in den Fuß rammen. Eine peinliche Stille machte sich breit und ich empfand es als komisch, dass er mich hielt. "Danke" murmelte ich irgendwann, weil die Stille drückend wurde und fast in den Ohren schmerzte

Schweigend - ja, wer hätte das erwartet? - liefen wir nebeneinander her. Ich bückte mich ein wenig, damit sie nicht solche Problem mit meiner Größe hatte, denn angenehm war die ganze Situation bestimmt nicht. Ich hatte ja auch nicht um das ganze hier gebeten. Warum konnte Gott nicht irgendwen auswählen, der etwas gesprächiger als ich war? Mir fielen da eine Vielzahl von Jungen aus meiner Klasse ein, die liebendgern an meiner Stelle gewesen wären und gern ein Mädchen durch die Gänge der Schule begleitet hätte. Sie hätten sich mit ihr unterhalten und sie am Ende als Entschuldigung auf ein Date eingeladen. Ich tat das nicht. Ich lief rot an, wenn mich eine Fremde Person ansprach und schwieg in 100 verschiedenen Sprachen.
Ein 'Danke' riss mich aus meinen Gedanken. Anscheinend war ihr das ganze auch peinlich, denn sie wollte um jeden Preis etwas sagen. Mir kam das ganz recht, jetzt konnte ich mich nochmal offiziell entschuldigen. "Kein Problem, es ist ja auch irgendwie meine Schuld. Sorry, echt, das wollte ich nicht.", sagte ich und meine Stimme hallte durch den leeren Gang. Ausgerechnet heute war jeder verdammte Schüler in seinem Klassenzimmer? Wieso?

Als er sich entschuldigte, blieb ich stehen und sah ihn verwirrt an. "Warum soll das denn deine Schuld sein?" fragte ich, die Verwirrung stand mir ins Gesicht geschrieben. Ich ließ meinen Arm von seinen Schultern gleiten und sah ihn fragend an. Ich verstand nicht, wie er sich in so einer Situation schuldig fühlen konnte. Immerhin war ich der Grund, warum er jetzt hier mit mir sein musste und nicht bei Sport mitmachen konnte, was er wahrscheinlich bevorzugt hätte. Um meinen Fuß zu entlasten, lehnte ihc mich mit einem Arm an die Wand neben mir und winkelte das Bein an. Ein paar Strähnen hatten sich aus meinem Zopf gelöst und fielen mir aberwitzig in die Stirn. Mit einer ungeduldigen Bewegung wischte ich sie zur Seite und strich sie mir hinter die Ohren. "Das muss dir nicht leidtun... Ich war ja selbst Schuld..." murmelte ich, es war mir peinlich, hier auf dem leeren Flur mit ihm zu stehen, wenn er nur ein kleines Stück entfernt war. Nervös rückte ich von ihm ab.

Auch ich sah sie jetzt verwirrt an. Nicht meine Schuld? Kam mir aber doch so vor. Schließlich wäre es vielleicht besser gewesen, wenn ich einfach angehalten wäre, dann hätte sie nicht weiter laufen müssen und es vielleicht noch schlimmer gemacht. "Aber, ich hätte dir auch gleich helfen können, dann wäre es nicht so schlimm gewesen.", sagte ich deshalb und lies sie los, damit sie sich besser an die Wand lehnen konnte. Sie brauchte wohl erstmal eine kurze Verschnaufpause - ich übrigens auch, die ganze Zeit gebückt laufen, ist auch nicht gerade leicht. Ich rieb mir den Nacken, zum einen, weil er etwas verspannt war, zum anderen weil ich irgendwie verlegen war und irgendwas als Ausweichhandlung tun musste.
Ich schluckte und sah sie wieder an. Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und sah dabei genervt aus - hoffentlich interpretierte ich hier nichts falsches. Sie meinte, dass es ihre eigene Schuld wäre und ich antwortete: "Ja, ok, ein bisschen schon. Aber ich hätte trotzdem warten können." Das war vielleicht nicht was man erwartet hätte, aber je länger ich darüber nachdenke, so stimmt es doch eigentlich. Obwohl ich trotzdem dumm war, indem ich nicht sofort angehalten war. Das hätte einiges verhindern können. Um sie nicht weiter zu stressen trat ich einen Schritt auf sie zu, um sie wieder zu stützen. Ich fasste sie aber noch nicht an, denn mir war einen Moment vorher aufgefallen, dass sie von mir weggerückt war. Vielleicht war ihr das auch unangenehm, dass ich ihr half.

Es erschien mir irgendwie hoffnungslos, noch weiter an ihn hinzureden. Er trat auf mich zu und mit einem resignierten Blick stieß ich mich leicht von der Wand ab. "Wenn du angehalten hättest, hätte dir das aber möglicherweise die Note versaut..." murmelte ich noch leise, dann humpelte ich weiter in Richtung des Sekretariats. Ich hatte zwar gemerkt, dass er mir wieder geholfen hätte, aber ich spürte auch, dass er das eigentlich nicht wirklich wollte. Also überließ ich es ihm, ob er mir half oder nicht. Ich wollte ihn nicht dazu zwingen, etwas zu tun, das ihm unangenehm war. Und mir auch, irgendwie. Ich meinte, ich kannte ihn ja nicht, wusste von ihm nur, wie er hieß und dass er gern sprintete. Das war wirklich nicht viel. Aber andererseits wusste er ja von mir auch nicht mehr, oder? Weiter hinten im Gang wurde eine Tür geöffnet, kurzzeitig hörte man das laute Stimmengewirr im Inneren des Raumes, dann fiel die Tür krachend ins Schloss und schnitt die Geräusche ab. Ein kleiner Junge aus der Unterstufe kam den Gang entlang gehetzt und beachtete uns nicht mal. Er hatte dunkle Locken und blaue Augen, trug ein Shirt mit Spiderman darauf und abgewetzte Jeans. Ein wehmütiges Seufzen entrann mir. So hatte mein Bruder auch ausgesehen, früher, als wir noch klein gewesen waren. Damals war es mein größter Wunsch gewesen, den gelben Gürtel zu schaffen. Gleich nach dem Wunsch, Prinzessin zu sein.

Sie bat nicht um Hilfe oder hakte sich wieder bei mir ein. Für mich war das das Zeichen sie nicht weiter zu drängen und ich rückte von ihr ab. Wenn ihr das unangenehm war, dann konnte ich das verstehen. Ich kannte sie ja gar nicht und alles das, was sie mir vorhin erzählt hatte, hatte ich schon wieder vergessen, denn ich war die meiste Zeit damit beschäftigt, nicht weiter über die Peinlichkeiten nachzudenken, die mir vorhin widerfahren waren. Das einzige, was ich mir gemerkt hatte, war ihr Name und das war irgendwie traurig. Meine Kumpels werden mich sowas von auslachen, wenn sie davon erfuhren, aber bei diesem Thema war ich das schon gewöhnt.
Zwischen uns lag nun etwa ein Meter und sie humpelte stur weiter Richtung Sekretariat. Ich hingegen starrte stur auf den Boden vor mir und vergrub die Hände in meinen Hosentaschen. Wenn uns jetzt ein Lehrer sah, würde er uns sicher frage, warum ich ihr nicht half und mich wohl schön bloßstellen. Die Lehrer kannten mein Problem nämlich und einige hackten nur zu gern auf meiner Schüchternheit herum.
Ich wurde aus den Gedanken gerissen, als eine Tür knallte und jemand durch den Gang gerannt kam. Ein Junge aus der Unterstufe. Die kannte ich sowieso nicht. Aber jedesmal fiel mir auf, dass die Kinder aus den unteren Stufen immer kleiner wurden. Ich fragte mich oft, ob wir damals auch so klein waren - und so frech. Die wurden echt immer schlimmer. "Wahnsinn wie klein die Unterstufenschüler jedes Jahr wieder sind. Waren wir das damals auch?", fragte ich Marina, um überhaupt etwas in die peinliche Stille zu sagen. Leider dachte ich oft erst nach, bevor ich etwas sagte, vor allem wenn ich unter Druck stand - und so kam mir die peinliche Stille vor. Jetzt war mir aber auch peinlich, was ich wieder für Mist gelabert hatte.

Ich war komplett in Gednaken versunken, dachte an die Zeit von früher, an meine Familie, meine Freunde und all die Dinge, die ich jetzt micht mehr machen konnte. Surfen, Tauchen, wandern. Meine Gedanken schweiften ab, sodass mich seine Frage komplett überrumpelte. "Ähh... Ja, irgendwie schon...." Murmelte ich und senkte den Kopf, damit er den Schmerz in meinem Gesicht nicht sah. Auch wenn ich es nicht zugebe wollte, mein Fuß tat höllisch weh. Und obwohl es mir peinlich war, hätte ich ihn am liebsten gefragt, ob er mir helfen konnte. Doch eine innere, stolze Stimme brüllte mcih an, ich solle das ja nicht machen, zu was würde ich denn werden, wenn ich schon einen fast Fremden um Hilfe anbettelte. Also biss ich die Zähne zusammen und humpelte weiter.

Ich seufzte, als sie mir eine Antwort gab. Entweder hatte sie gar keine Lust auf ein Gespräch oder sie hatte gar nicht zugehört. Innerlich hoffte ich, dass es letzteres war, aber irgendwie kam es mir so vor, als läge es an mir. Mir kam in den Sinn, dass einfach nur die Frage total bescheuert war und ich nahm es ihr nicht mal mehr übel, dass sie so kurz geantwortet hatte. Was hätte ich geantwortet? Bestimmt irgendwas sarkastisches oder den Fragenden mit einem schrägen Blick angesehen, damit er merkte, dass es bescheuert war. Marinas Antwort war dabei schon höflicher und freundlicher.
Ich bemerkte nicht, dass ihr Fuß wohl doch sehr schmerzte, das hatte ich schon längst wieder vergessen, obwohl es eigentlich der Grund war, weshalb wir hier durch den Gang liefen. Aber ich konzentrierte mich eh meistens nicht auf die wichtigen Dinge, nur auf unwichtiges Zeug, was sich eben so in mein Gedächtnis einbrennt. Ich könnte zum Beispiel immer noch sagen, in welches Haus meine ehemalige Kindergartenfreundin umgezogen ist, ohne dass ich jemals dort gewesen oder sie seitdem nochmal gesehen hätte. Komisch.
Erst als wir am Sekretariat angekommen waren, fiel mir wieder ein, weshalb wir überhaupt hier waren. Marina konnte froh sein, dass es im Erdgeschoss war und sie nicht noch Treppen steigen musste. Ich öffnete ihr die Tür und lies sie hindurchgehen, bevor ich auch eintrat und die Tür hinter mir schloss.

Nac meiner Antwort herrschte wieder diese drückende Stile. Einglese, piepsige Stimme in mir fuhr mich an, dass ich besser hättg zuhören müssen, dann wäre meine Antwort auch nciht so karg ausgefallen und die Peinlichkeit hätte vielleicht ein Ende gehabt. Aber nein. Ich musste natürlich wieder alles verbocken. Innerlich verfluchte ich diese Stimme. Sollte sie es doch erstmal selber besser machen, bevor sie mir Ratschläge erteilte. Als Nico mir die Tür aufhielt, lächelte ich zögernd, aber dankbar, und ging hinein. Als die Sekretärin sah, dass ich humpelte, wies sie uns sofort einen Platz im Krankenzimmer zu. Ich ließ mcih dort auf der Liege nieder und ein erleichtertes seufzen entfuhr mir. Sofort wurde ich rot und begann, meinen mittlerweile stark geschwollenen Knöchel zu massieren, was auch etwas half. Während wir auf die Sekretärin warteten, musste ich einfach irgendwas sagen, sont wäre ich wahrscheinlich geplatzt. "Tut mir Leid, dass ich dir eben nicht richtig zugehört habe. Und dass du jetzt wegen mir Sport verpasst..." mur elte ich beschämt und blickte zu Boden.

Die Sekretärin - eine alte Frau mit Brille, wie man sich so eine Schulsekretärin eben vorstellt - schickte Marina ins Krankenzimmer, was ich auch erwartet hatte. Entweder sie wurde jetzt zu einem Arzt geschickt oder die Krankenschwester sah, was sie machen konnte und Marina musste wieder zum Unterricht. ich begleitete Marina mit ins Zimmer, wo sie sich auf eine Liege setzte. ich hatte eh nichts besseres zutun und egal ob es Sport war oder nicht, ich war immer dabei, wenn ich um ein paar Stunden Unterricht herumkam.
Marina begann sofort ihren Knöchel zu massieren und ich verzog das Gesicht. Ich konnte mir schon ein wenig vorstellen, wie das weh tat und ich hatte ihr vorhin nicht mal mehr geholfen, ich war schon ein Dummkopf. Ich wollte grad zu einer weiteren Entschuldigung ansetzen, weil so im Raum stehen lassen konnte ich es ja auch nicht, aber sie begann im gleichen Moment etwas zu sagen. "Kein Ding. War ja auch eine blöde Aussage, war besser das du nicht zugehört hast, dir wären nur schon vom Hören Hirnzellen abgestorben.", grinste ich zu ihr. Ein bisschen lustig machen konnte man sich ja immer. "Ich glaube von einem Mal Sport ausfallen lassen, werde ich nicht fett. Das ist also auch kein Problem, Freistunde ist eh viel schöner.", fügte ich dann noch hinzu und zwinkerte ihr zu.
Einen Moment später kam die Krankenschwester und drückte mir ein Kühlakku in die Hand, weil ich näher an der Tür stand. Im Gleichen Moment wandte sie sich auch schon wieder um und lief zu einem Mädchen aus der Unterstufe, die sich soeben in einen Eimer erbrach. Das hätte ich lieber nicht gesehen und ich wand mich angeekelt ab. Ich ging zu Marina und legte ihr das Kühlakku auf den Knöchel. "Wo tut's denn weh?", fragte ich ernst und mit einer 'lieber-alter-Doktor-Stimme'.

Ich konnte nicht anders, ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht und meine Augen blitzen auf. Ich hörte von draußen, wie etwas in einen Eimer platschte und wollte gar nicht so genau wissen, was das war. Auch wenn es der Geruch, der Sekunden später in den Raum drang, es verriet. Ich verzog das Gesicht. Als Nico zu mir herüberkam und das eisige Coolpack meinen Knöchel berührte, zuckte ich im ersten Moment zusammen, dann entspannte ich mich, da die beißende Kälte den Schmerz betäubte. Als er mich fragte, wo es denn wehtat, klang er genau wie mein ehemaliger Arzt, ein älterer, schrulliger Mann mit grauer Mähne und Lachfalten um die Augen. Er war immer gut gelaunt gewesen und immer freundlich. Wieder musste ich grinsen und ich versuchte, die verstörende Wärme, die von seiner Haut ausging, zu ignorieren. Es weckte in mir ein Gefühl, dass ich nicht empfinden wollte. Liebe. Warum?? Ich kenne ihn doch gar nicht?! Warum verliebe ich mich dann in ihn? Mann... Das Herz tut wirklich nie, was der Verstand vorschreibt... schoss es mir durch den Kopf und ich schaffte es, dieses unerwünschte Gefühl in den hintersten Winkel zu verdrängen.

Vorsichtig hielt ich das Coolpack an Ort und Stelle und sah mich um, ob ich es mit irgendwas befestigen konnte. Ich wollte nicht die ganze Zeit vor ihr knien und es festhalten. Irgendwann taten dann auch meine Knie weh und außerdem konnte sie sich mit einem Verband vielleicht sogar bewegen und laufen. Obwohl ich ihr wohl empfehlen würde nicht zulaufen, bevor die Schwellung nicht etwas abgeklungen war.
Ich fand ein Dreieckstuch, was eine auf dem Schreibtisch lag, an dem normalerweise die Krankenschwester saß - die hatte aber momentan anderes zutun und so wie Marinas Gesicht aussah, wusste auch sie, ohne dass sie es gesehen hatte, was es war. Mittlerweile lag nämlich ein nicht angenehmer Geruch in der Luft und hin und wieder hörte man es würgen. Keine schöne Geräuschkulisse.
Ich stand auf und holte das Tuch, dann kam ich zurück zu Marina und versuchte das Kühlakku an ihrem Knöcheln festzumachen. Hin und wieder sah ich hoch, um gleich zu mitzukriegen, wenn Marina etwas wehtat. Sicherheitshalber fragte ich sie noch einmal, denn ich war mir nichts sicher, ob sie es nicht einfach überspielte. Im Gang hatte ich ja auch nichts mitbekommen - was wohl unter anderem auch an mir lag. "Geht es so? Du kannst mir das ruhig sagen.", sagte ich zu ihr, nachdem ich fertig mit dem 'Verband' war. Das Kühlakku war nun fest genug, dass sie damit laufen konnte.

Jedes Mal, wenn er den Kühlakku etwas zu fest bewegte, musste ihc mich zusammenreißen, um nicht zusammenzuzucken. Als er fertig war, fragte er, ob es so ginge. Ich zuckte die Schultern. "Ich weiß nicht" murmelte ich und stand auf. Nicht unbedingt sanft setzte ich beide Füße auf den Boden und zuckte kurz zusammen, als eine scharfe Ecke über meine Haut schabte, aber ansonsten war es eigentlich auszuhalten. Ich ging einige Schritte auf und ab, um zu prüfen, ob der behelfsmäßige Vreband hielt und lächelte Nico dann dankend an. "Danke Nico" meinte ich ehrlich. Ich wusste nicht, wie ich ganz ohne jemanden hier her gekommen wäre. Und ich wäre wohl auch nicht auf die Idee mit dem Dreieckstuch gekommen. Wahrscheinlich hätte ich einfach weitergemacht, den SChmerz ingnoriert oder ertragen. Wie ich es eben immer tat. Ich wusste, dass ich das nicht sollte, aber die Narben vor allem an meiner Hand zeugten davon, dass ich so gut wie nie zu einem Arzt ging. Ich fühlte mich bei ihnen unwohl. Überall roch es nach Desinfektionsmittel und Karnkheit... Und KRankenhäuser waren noch schlimmer, da war der Tod allgegenwertig.

Ich stand auf und ging einen Schritt zur Seite, um sie bei ihren Gehversuchen zu beobachten. Ich behielt dabei ihren Fuß und ihr Gesicht im Auge, damit ich sehen konnte, ob irgendwas wehtat. Ich vermutete, dass sie es nicht sagen würde, wenn ihr etwas wehtat. Würde ich auch nicht, da wäre ich zu Stolz, um mir dann noch helfen zu lassen. Wir hatten echt total viel gemeinsam.
Die bedankte sich bei mir, als sie nach einigen Schritten stehen blieb. Also musste es ja jetzt gehen. "Was tut man nicht alles, um nett zu anderen zu sein.", grinste ich verschmitzt. Irgendwie war das Eis zu ihr langsam gebrochen, also das was mich immer davon abhielt mit fremden Menschen normal zu reden. Dadurch, dass sie recht nett war und mir auch keine Vorwürfe oder sowas gemacht hatte, war sie mir sympathisch geworden. "Was hälst du davon, wenn wir zurückgehen, wir ziehen uns um..." Ein Blick auf die Uhr über ihr an der Wand, verriet mir, dass die Sportstunde bald um war und Marina konnte sowieso keinen Sport mehr machen. "...und gehen zusammen in die Cafeteria und essen was?", fragte ich sie. Für mich persönlich sah es so aus, als wäre ich was schuldig und da wir momentan nicht aus der Schule rauskonnten, konnte ich ihr irgendwas in der Cafeteria ausgeben, ein Eis oder Kaffee, was sie eben wollte.

Ich lächelte ihn an, während er sprach. Langsam schien er aufzutauen, er redete mehr als vorher. Und ich fand es wunderbar, ich mochte ihn irgendwie. Naja, man mochte wohl jeden, der einem so nett half, aber er hatte irgendwas an sich, dass mich anzog, dass mich dazu brachte, mit ihm reden zu wollen. Als er mich dann in die Cafeteria einlud, stimmte ich - noch immer lächelnd - zu "Sehr gerne, danke". Und so gingen wir zurück, ich mit einem notdürftig bandagierten Fuß und einem glücklichen Lächeln im Gesicht. "Weißt du, wenn du so weitermachst, ist die Liste mit meinen Schulden bei dir wirklich bald sehr lang" lächelte ich und warf ihm einen kurzen Blick zu. Wir gingen der Sonne entgegen, sodurch unsere Gesichter im Sonnenlicht lagen. Seine Haut schimmerte leicht, ebenso wie meine. Ich schloss die Augen und lächelte. Wenn du so weitermachst, bekomme ich noch einen Krampf im Gesciht zischte meine zynische Seite, wurde aber schnell von meiner optimistischen Seite erstickt Und wenn schon, es lohnt sich! Mein Lächeln wurde breiter und die Sonne blitzte auf meinen Zähnen und dem silbernen Fußkettchen, dass ich immer trug.

Ich nickte erfreut, dass sie meine 'Einladung' angenommen hatte. Ich meine, es war die Cafeteria. Nichts besonderes und um uns herum tausende anderer Schüler. Es war also nichts besonderes oder verbindliches. Trotzdem musste ich lächeln. Ich weiß nicht ob es deswegen, war, weil ich ein Mädchen - was ich nicht richtig kenne - gefragt habe, ob wir was zusammen machen - ja, man ich weiß, dass es nur die Cafeteria ist - oder weil sie zugesagt hat und ich mich nicht blamiert habe. Wahrscheinlich beides.
Sie stimmte mir dann zu zurück zu gehen und wir machten uns auf den Weg zum Sportplatz. Da das immer noch nicht so richtig mit ihrem Bein klappte, dauerte es noch etwas länger, aber sie lief schon wieder ganz gut - fand ich. "Oh, ich dachte ich schulde dir was.", sagte ich etwas verwundert, auf ihre Aussage hin. Das habe ich wirklich gedacht - ich fühlte mich schließlich immer noch nicht gut bei der Sache. Sie anscheinend aber auch nicht. "Ich denke wir sollten die Sache einfach ruhen lassen, oder was sagst du?", fragte ich und hielt ihr die Hand hin, damit sie den Abmachung bestätigen konnte.

Ich musste grinsen. Mir wollte nicht einfallen, warum er mir etwas schulden sollte. Weil er einfach weitergelaufen war? Nein, ich meine, es wurde schließlich benotet. Ich fand es gut, dass er nicht angehalten hatte, ich wollte ihm schließlich nicht die Note versauen. Also schuldete er mir nichts. Ich fand es irgendwie süß, dass er das dachte. Als er vorschlug, die Sache zu vergessen und mir seine Hand hinhielt, schlug ich ein und nickte zustimmend. Seine Haut fühlte sich auf meiner rau und trocken an, sie war dunkler als meine. In seiner verhältnismäßig großen Hand wirkte die meine wie eine Puppenhand, blass, klein und zerbrechlich. Wieder spürte ich, wie mir das Blut in die Wangen schoss und ich senkte den Kopf. Ich entzog ihm meine Hand und umfasste meine Ellbogen, sodass meine Arme vor der Brust gekreuzt waren. Wegen der auffrischenden Brise fror ich leicht, versuchte es aber zu verbergen. Ich mochte es nicht, wenn andere sich zu viele Sorgen um mich machten.

Sie schlug mir ein und ich musste unwillkürlich grinsen. Dann war die Sache ja schonmal geklärt, für mich waren wir sowieso schon quitt, sie hatte mir einen Gefallen getan, indem sie nicht sauer war und meine 'Einladung' angenommen hatte - das hätte ich übrigens nicht gedacht und eher auf eine freundlich Absage a lá 'Oh, dass ich ungünstig heute, weil wegen du weißt schon, morgen vielleicht?*aber eigentlich werde ich versuchen dich zu umgehen* Ok, das war mir noch nie passiert, aber ich hatte es ja auch noch nicht so oft gemacht, aber jedes Mal stellte ich mir vor, dass das passierte. Da konnte ich auch nichts dagegen tun.
Ich brachte wieder ein wenig Abstand zwischen uns, nachdem sie meine Hand losgelassen hatte. Sie war fast winzig im Gegensatz zu meiner und ich wollte gar nicht richtig zudrücken, aus Angst es geht irgendwas kaputt. Wer weiß?
Auf jeden Fall war jetzt wieder etwa ein Schritt Abstand zwischen uns. Dass sie die Arme vor sich verschränkte interpretierte ich eher so, dass ich das unangenehm war. Ich hätte niemals dran gedacht, dass ihr kalt sein würde, weil mir auch nicht kalt war. Manchmal bin ich auch ein wenig gefühlsdumm. Ich checkte sowas nicht so schnell, da musste das Gefühl schon vor mir mir einem Leuchtschild rumhüpfen, dann würde ich vielleicht mal drüber nachdenken.
"Weißt du, dass du mir noch nie aufgefallen bist, obwohl du in meiner Parallelklasse bist?", fragte ich und musste erstmal nachdenken. Das klang irgendwie blöd und ich versuchte mich zu erklären. Bei Freunden hätte ich das nicht gemacht, da wäre ich total verltzlich gewesen und hätte noch ein wenig darauf rumgehackt, aber ich kannte sie ja nichtmal richtig. "Nicht, dass da heißen soll, dass du total unauffällig wärst." Ob sie überhaupt auf solche Gedanken gekommen war? Vielleicht war ja nur mein Hirn so komisch und dachte sich dabei ja etwas.

Ich zog die Ellbogen fest an den Körper, um mich zu wärmen, und sah bei seinen Worten auf. Alse r sich erklärte, nickte ich nur "Gar nicht aufzufallen ist mir lieber, als durch unangenehme Dinge aufzufallen" murmelte ich als Antwort leise und hielt den Blick auf den Boden vor mir geheftet. Mir war auch schon öfters aufgefallen, dass viele mich übersahen. Ich meine, ich war nicht wirklich groß, war durchschnittlich gebaut und hatte eigentlich nichts ungewöhnliches an mir. Naja, vielleicht meine Augen, die in ein auffälliges Graublau gefärbt waren. Sonst? Nein, mir fiel beim besten Willen nichts anderes mehr ein, dass andere dazu veranlassen konnte, auf mich zu achten. Obwohl er gut einen Meter neben mir ging, spürte ich seine Anwesenheit und seine Wärme, als würden wir Schulter an Schulter gehen. Und es war mir nicht wirklich angenehm, weshalb ich unauffällig noch etwas Abstand zwischen uns brachte. Obwohl ich seine Gesellschaft durchaus mochte - ihn mochte - wollte ich mich ihm nicht aufdrängen und ihm nciht zu nahe sein, denn das hätte die Gefühle, die er in mir geweckt hatte, nur moch verstärkt. Und das wollte ich vermeiden.

Sie rutschte während sie antwortete ein Stück weiter von mir weg. Ich schluckte. Ihr war es 100% unangenehm. Ich hasste mich in diesem Moment dafür. Sie hatte eh nur aus Höflichkeit zu meiner Einladung zugestimmt, das merkte ich jetzt und es kotzte mich tierisch an. Was war nur falsch an mir? Was mich gleich noch mehr ankotzte, war, dass ich mir schon wieder über sowas Gedanken machte. Wieso konnte ich es nicht einfach ignorieren, so sein, wie ich bin und mir nicht ständig Gedanken über andere machen? Ich schüttelte unmerklich den Kopf über mich selbst und hatte dabei schon wieder vergessen, was Marina mir geantwortet hatte. Krampfhaft versuchte ich mich an ihre Worte zu erinnern, um die peinliche Stille - die mal wieder zwischen uns lag - zu überbrücken. Es musste ja nur so lange sein, wie wir wieder am Sportplatz angekommen waren.
Der Erleuchtung holte mich einen Moment später wieder ein. "Ja, aber durch schlechte Dinge fällt man viel mehr auf, als durch gute.", sagte ich und es klang eine gewissen Kälte in meiner Stimme mit. Ich war immer noch etwas sauer, weil ich davon ausging, dass sie nur aus Höflichkeit zugestimmt hatte.

Erstaunt sah ich ihn an und blieb stehen. Die Kälte in seiner Stimme hatte mich förmlich angesprungen. Was hatte ich ihm getan? Mit einem nicht ganz ungefährlichen Funkeln in den Augen sah ich ihn an. "Sag mal, was ist mit dir los?" fragte ich, meine Stimme klang lauernd und ich versuchte, diesen Ton zu vertreiben. Er hatte mir schließlich auch nichts getan. "Wieso bist du auf einmal so kalt und sauer?" fragte ich daher, jetzt wieder mit sanfterer Stimme. Es war mir wichtig, das zu klären, da ich mich nicht mit ihm streiten wollte, jetzt, wo er ein bisschen aufgetaut schien. Irgendwas war wohl gewesen, dass ihn wieder in seine 'Kältestarre' zurückgetrieben hatte. Aber was? Das ich abgerückt war? Ich hoffte, dass er das nicht falsch verstanden hatte... Denn wenn dem so war, geriet ich in Erklärungsnot. Ich wollte ihm nicht sagen, was das für Gefühle waren, die da in mir wüteten, ich konnte es nicht. Weil ich selbst nicht wirklich wusste, was es war. Und eine andere Erklärung für mein Verhalten fiel mir auf die Schnelle auch nicht ein. Denn alle Ideen, die in meinem Kopf waren, hatten irgendetwas mit einer schlechten Eigenschaft seinerseits zu tun, die es aber nicht gab.
Er hatte scheinbar nicht sofort gemerkt, dass ich stehengeblieben war, denn er war noch ein paar Schritte weitergegangen. Ich sah zu ihm hoch und die Frage stand mir ins Gesicht geschrieben. Auch die Hoffnung, dass es nicht war wie ich dachte das es war. Ich musste aussehen wie Bambi. Innerlich schüttelte ich mich und meine Augen nahmen wieder den leicht verschlossenen Ausdruck an, den ich meistens trug, um mich vor seelischen Verletzungen zu schützen, die oft passierten, wenn man andere zu tief in sich hineinblicken ließ.

Ich bekam es erst gar nicht mit, dass sie stehen geblieben war. Meine Gedanken ließen für solche Nebensächlichkeiten gerade keine Zeit. Ich hatte grad ein persönliches tief und dass alles von einem Schlag auf den nächsten, nur weil sie einen Schritt zur Seite gegangen war und so Abstand zwischen uns gebracht hatte. Erst einen Augenblick später wandte ich mich dann doch verwirrt um, weil ich sie nicht mehr aus dem Augenwinkel sehen konnte.
Ich schüttelte abwesend den Kopf, als ich ihre Frage hörte. Wieso machte ich sie dafür verantwortlich, wenn es eben nicht so lief, wie es laufen sollte. Ich konnte sie ja nicht zwingen mich zu mögen und gern mit mir Mittagessen zu gehen. Man konnte sowas einfach nicht erzwingen, das wäre ungerecht und ungerecht war es auch, jetzt scheiße zu ihr zu sein.
"Nichts.", sagte ich nur und sah zu Boden. Das klappte ja super mit normal zu ihr sein. Ich war fast erstaunt, wie gut ich das konnte und wie viel Ironie wieder in meinem Kopf zu hören war.
"Lass und gehen, die anderen warten bestimmt schon.", sagte ich nun wieder in normaler Stimme. Ich musste mich zusammenreißen. Dieser eine kleine Schritt, hatte mich irgendwie mehr verletzt, als ich zugeben konnte. Ich drehte mich um und ging voraus. Sie musste ja doch früher oder später hinterher.